Gastbeitrag von Volker Remy
Mit Social Media feiert die Zahl als solche Triumphe ohne Ende. Followerzahlen, Zahlen aus dem inzwischen unbeirrbar unentwirrbar gewordenen „Monitoring“ der digitalen Aktivitäten und Nichtaktivitäten, die Anzahl von Klicks und Fans, von „shared“ und „“retweetet“, „seeded“, „liked“ und „ranked“, „mentioned“, „defollowed“, oder „pinged“.
Das etymologische Fundament der Begriffe „Ranking“ und „Banking“ bekommt den altbekannten Überbau verpasst. Zahlen haben sich im Social Media Paralleluniversum zur Beweismaschine für Erfolgsnachweise und zum Resonanzkörper für Geltungsränge verselbständigt. An der Zahl will man Relevanz messen, und Netzrelevanz ist so etwas wie die Leipziger Strombörse, oder der Preis für die Gallone Brent Oil auf den Weltmärkten. Die Welt 2.0 hat sich mit beiden Händen in der der Welt 1.0 bedient. Weil’s bequemer ist und schneller zu barer Münze wird. In der sonst so hierarchieabweisenden Welt hat sich eine neue Hierarchie herausgebildet, deren Marktwert fröhlich nach alten Mustern bemessen wird. Hier zeigt sich die Natur der Marke und ihr Stellenwert in unseren Köpfen: Die Nummer eins erntet, die Fellachen bestellen die Felder. Vom abgedroschenen Getreide auf den leergeernteten Feldern ernährt sich der Rest.
Wie doof das alles ist, sollte von Fall zu Fall neu besprochen werden
Nachdem der größte Wunsch der Marketer, nämlich Social Media in ein Messbarkeitskorsett pressen zu können, in Erfüllung gegangen ist, beziehungsweise gerade dabei ist, in Erfüllung zu gehen, schwurbelt auf dem nächsten Ceranfeld ein weiterer Kochtopf über: Die Alphatierchen in Netzstrümpfen treffen und feiern sich nicht mehr im Netz allein. Angesagt sind seit einiger Zeit Barcamps und Kongresschen, ähnlich den global organisierten Fly-Ins gewichtiger Manager, die sich mal eben in Fünfsternebuden in der Nähe von Flughäfen treffen, um den neuesten Knall in ihrem Parallel-Weltall zu besprechen. Ein permanentes Expertenkonfetti feuert sich selbst ins Gespräch und manchmal landen einige Schnippsel in Shows mit hohen Einschaltquoten, oder in Kolumnen derYellowPress für den niedrigen Akademikeradel. Das sonst so gern totgesagte Fernsehen wird ebenfalls gern als Affirmationsbühne für den nuttig angeschafften Digitalruhm benutzt. Mediale Zuhälter wie diesen, findet man dann doch nicht so oft. Und so rattern die Appearancezähler und rattern und rattern und rattern. Die zurückgelegten Meilen vergehen wie im Flug. Das Ziel heißt Währungsunion: Ich und mein Honorar.
1000 Kilowatt Erregung/h
„Empörungstheologie“ ist sicher ein Favorit für das Wort des Jahres, das keiner kennt, aber viele praktizieren. Kaum nähert sich die Fanzahl in atemberaubender Geschwindigkeit der Halbmillionengrenze, nährt diese Zahl gleich die nächste: Betrugsverdachtsmomentefanseiten generieren neue Zahlenpilze. Krude Rechenaufgaben werden veröffentlicht, um der halben Million Guttenberg-Fans vorzurechnen, dass sie womöglich Betrügern aufgesessen sind. Leider konnten nur Wenige die Rechenaufgabe des Rechercheurs lösen und somit sackte die Empörungs-Fanpage schnell in sich zusammen. Das kommt davon, wenn man nicht weiß, dass Dreiviertel der Deutschen nicht mehr in der Lage sind, eine Dreisatzaufgabe spontan zu lösen. Es ändert wenig an der Tatsache, dass „Empörung“ ein fast todsicheres Digitalikum ist, mit dessen Hilfe Zahlen und somit Bedeutung rasch angeschafft werden kann. Durch die Herrschaft der Zahl wird Bedeutung zu einem Wert an sich und damit zu etwas, was noch vor wenigen Jahren mit Skepsis betrachtet wurde. Zurecht.
Dann gibt es die politisch-gesellschaftlich bewegten „Netzaktivisten“, die auch im Jahre des Herrn 2011 noch immer im clownesken Alternativ-Journalismus verharren und damit eine kleine Elite selbstverliebter, selbsternannter Meinungsbildner unterhalten. Das eineiige Meinungsbild bleibt ihr Erkennungsmerkmal. Inzwischen ist die „Digitale Bohème“ von 2006 in Scharen in die Tretmühlen täglicher Geldbeschaffungsriten geflüchtet. Das soll kein Vorwurf sein, aber ein Nachwurf. Auch die „Wir-nennen-es-Arbeit-Arbeiter“ müssen sich heute an den Produkten ihrer Arbeit messen lassen. Und plötzlich hat Bescheidenheit wieder einen Stellenwert. Ich nenne es ‚Relation‘.
Das alles ist nur die Kruste der Quiche Domaine. Darunter bruzzelt und dampft es weiter, das Meiste davon zieht die Dampfabzugshaube gleich nach oben.
Stopp.
Eigentlich wollte ich einen Beitrag darüber schreiben, wie unsignifikant Zahlen im digitalen Geschlechtsverkehr sind. Darüber, wie uneinträglich das Bordsteingeschäft auf dem Klickstrich ist. Und wie wichtig es ist, die zu finden, mit denen man real etwas machen kann. Bleibt also die Aufgabe, der digital erworbenen Zahl wieder jene Bedeutung beizumessen, die ihr gebührt. Social Media ist die große Chance, mit Menschen in Kontakt zu treten, die wir auf Grund ihrer persönlichen oder geschäftlichen Bedeutung und nicht wegen der hinter ihnen stehenden Zahl als „die Richtigen für uns“ identifizieren können. Das mögen MLM Gurus ganz anders sehen. Für mich als Berater, Texter und Entwickler steht ‚die Wahl‘ und nicht ‚die Zahl‘ im Mittelpunkt meiner Netzarbeit. Es gilt, zu differenzieren. Ich nenne das Arbeit.
P.S. Wussten Sie, dass, wenn man 10.000 Follower abends in ein Glas Cola legt, sie morgens nicht mehr da sind?
Wir bedanken uns herzlich für diesen Gastbeitrag von Volker Remy zum Thema „Creative Business Development“, anläßlich unserer Corporate Flower Patenschaftsaktion. Den ersten drei gekürten Siegern winkt dieser Beitrag als Preis für die besten Slogans dieser Aktion.